top of page

Depression und Geduld – Der stille Weg zur Heilung

  • Autorenbild: Andy
    Andy
  • 16. Mai
  • 9 Min. Lesezeit

Eigentlich wollte ich diesen Artikel kurz halten, ungefähr so wie die anderen Artikel zuvor. Doch auch hier musste ich feststellen, dass das Schreiben eine Reise ohne vorgegebenen Ausgang ist. Beim Reflektieren und Aufschreiben kam ungewollt immer mehr dazu, weil dieses Thema wirklich so unheimlich wichtig ist für die innere Heilung.

Du kannst mir glauben, auch ich trage immer noch Kämpfe in mir und gegen mich aus – und hin und wieder scheint es, als würde ich sie nie gewinnen. Doch genau dann zeigt sich: Übung macht den Meister – denn manchmal bedeutet das, sich selbst die Zeit zu geben, die man braucht.


Depressionen sind wie ein schwerer Schatten, der sich auf das eigene Leben legt – eine Präsenz, die man loswerden möchte, aber die sich nicht einfach abschütteln lässt. Geduld hingegen ist etwas, das man lernen muss, obwohl man sich nichts sehnlicher wünscht als schnelle, oder sogar sofortige Veränderung im Hier und Jetzt.

Und genau hier liegt die Herausforderung: Heilung geschieht nicht über Nacht – sie braucht Zeit. Akzeptanz braucht Raum. Und Veränderung geschieht nicht durch bloßes Wollen, sondern durch bewusstes Zulassen.

Ich erinnere mich an Momente, in denen ich dachte: "Ich muss das jetzt hinter mir lassen. Sofort. Keine Sekunde länger!".

Doch genau diese Ungeduld verstärkte die Schwere der Depression. Es war, als würde ich gegen eine Tür drücken, die sich erst öffnet, wenn ich auf meiner Seite den Druck verringere.

Und genau das musste ich erst verstehen: solange ich mit aller Kraft dagegen drückte, blieb die Tür verschlossen. Erst als ich aufhörte, gegen mich selbst zu kämpfen, begann sich etwas zu verändern.


Geduld ist keine passive Wartehaltung. Sie bedeutet nicht, einfach zuzusehen und darauf zu hoffen, dass sich etwas verändert. Vielmehr ist sie ein aktiver Prozess – ein sanftes Zulassen dessen, was gerade ist, und die Erkenntnis, dass Wachstum nicht in einem einzigen Schritt geschieht, sondern in vielen kleinen.

Wie ein Tattoo, das bewusst gewählt und gestochen wird, ist Heilung etwas, das Zeit braucht, um sich unter der Haut zu verankern. Manche Tage fühlen sich an wie ein frisch gestochenes Motiv – schmerzhaft, ungewohnt, empfindlich. Doch mit der Zeit wird es Teil von Dir, sichtbar und dennoch tief verwurzelt.


Jeder noch so kleine Fortschritt ist ein leiser Beweis dafür, dass ich die Kontrolle über meinen Weg behalte. Jeder Tag, an dem ich mich entscheide, nicht gegen mich selbst zu kämpfen, sondern mit mir zu wachsen, ist ein Fortschritt. Ich lerne, dass Geduld nicht bedeutet, nichts zu tun – sondern mir selbst Raum zu geben.

Und vielleicht, ganz langsam, wird dieser Schatten weniger erdrückend. Vielleicht wird er nicht völlig verschwinden. Aber ich werde mit ihm umgehen können.


Zwischen Ungeduld und Erkenntnis – mein Wendepunkt im Krankenzimmer

Morgens aufzuwachen und darauf zu warten, dass sich endlich etwas merklich verbessert hat – ich kenne diesen Moment nur zu gut. Diese stille Hoffnung, dass sich über Nacht etwas geändert hat. Doch dann der erste bewusste Gedanke und die ernüchternde Klarheit: alles fühlt sich noch genauso an, wie am Tag zuvor – als hätte die Zeit keinen Einfluss, als wäre der Stillstand zur Gewohnheit geworden.


Doch es blieb nicht nur bei der morgendlichen Erkenntnis. Diese Schwere begleitete mich durch den Tag, durch jeden Moment, in dem ich hoffte, dass sich doch etwas in mir bewegen würde.

Besonders intensiv war dieses Gefühl in der Klinik. Ich dachte: "Ich bin jetzt an einem Ort, wo mir Profis helfen, wieder in die Spur zu kommen. Jetzt muss doch endlich etwas passieren!".

Aber die ersten Tage vergingen, und nichts fühlte sich anders an. Die Depression hielt sich fest, die Ungeduld nagte an mir. Ich wollte Ergebnisse sehen, Fortschritt spüren – aber Heilung zeigte sich nicht im schnellen Wandel. Stattdessen fühlte ich mich nur noch tiefer in meine eigene Müdigkeit gezogen – ein Zustand, der mich vollkommen vereinnahmte, als mich auch noch ein grippaler Infekt erwischte.


Die Matratze unter mir fühlte sich hart und schwer an, als würde sie mich tiefer in das Bett ziehen. Ich lag da, fiebrig und kraftlos, eingehüllt in die dumpfe Stille meines Zimmers. Zwei Tage war ich nicht draußen gewesen, hatte das Essen ausgelassen, mich zurückgezogen in die engen Wände, die immer näher zu kommen und mich zu erdrücken schienen.

In mir war keine Stille. Mein Kopf war laut, voller Gedanken, die unaufhörlich kreisten und gegen das Innere meines Schädels hämmerten. Fragen, Zweifel, dieser ständige innere Drang, nach Veränderung zu suchen – selbst jetzt, krank und erschöpft. Es war, als würde mein eigener Verstand gegen mich arbeiten, mich antreiben, obwohl ich nichts tun konnte außer liegen und warten.


Dann, durch die Tür hindurch, hörte ich sie wieder. Stimmen. Lachen. Andere Patientinnen und Patienten draußen auf dem Flur, irgendwo im Garten. Ihr Leben schien weiterzugehen, als wäre das hier nur eine Pause, eine Station auf einem Weg, den sie bald weitergehen würden.

Es war der gleiche Klang, den ich in der Klinik schonmal bemerkt hatte – Tage zuvor, als ich meiner Oberärztin davon erzählte, dass ich früher genauso fröhlich war. Dass ich das Lachen kannte, das Unbeschwerte, das Gefühl, einfach da zu sein, ohne mich zu fragen, wie. Aber dieses Lachen war wie eine fremde Welt, eine, zu der ich keinen Zugang mehr hatte.

Heute war es anders.

Ich lag da, krank, erschöpft – und plötzlich war mein Wunsch klar: ich will das wiederhaben. Nicht jetzt, nicht sofort, aber irgendwann.

Die Ungeduld, dieser ständige Druck, der mich über Wochen begleitet hatte, war fort. Nicht, weil ich ihn bewusst losgelassen hatte, sondern weil etwas anderes wichtiger wurde. Ich musste gesund werden. Und das brauchte meine ganze Kraft.

Ein paar Tage später war die fiebrige Schwere verschwunden, und ich spürte es: die Heilung war nicht über Nacht gekommen, aber sie hatte sich auf den Weg gemacht. Vielleicht, weil ich ihr den Raum gegeben hatte, statt sie zu erzwingen.


Was Geduld wirklich ist

Geduld wurde mir lange als etwas vermittelt, das man einfach haben muss. „Hab Geduld, es wird schon besser.“ Doch was bedeutet das eigentlich? Ich habe Geduld lange als erzwungene Wartehaltung verstanden – als etwas, das ich hinnehmen musste, weil ich keine andere Wahl hatte. Doch das war nicht Geduld. Das war Frustration, als ich mir selbst verbot, ungeduldig zu sein, anstatt zu verstehen, was dahintersteckt.

Mit der Zeit habe ich eine neue Perspektive gewonnen: Geduld ist nichts Passives. Sie ist eine bewusste Entscheidung. Sie bedeutet nicht, nichts zu tun, sondern in Bewegung zu bleiben, ohne sich zu verkrampfen.

Ich musste lernen, dass Geduld nicht heißt, zu hoffen, dass sich alles irgendwann einfach auflöst, sondern aktiv mit mir selbst zu arbeiten. Manchmal zeigt sich Geduld in kleinen Momenten:


  • wenn ich nicht gegen meinen aktuellen Zustand kämpfe, sondern ihn annehme.

  • wenn ich erkenne, dass Fortschritte nicht immer fühlbar sind, aber trotzdem passieren.

  • wenn ich mir erlaube, die Zeit als Verbündete zu sehen – nicht als Feindin.


Ein Beispiel aus der Klinik brachte mich dieser Erkenntnis näher. Ich hatte einen dieser Tage, an denen ich dachte: es müsste doch endlich besser werden. Doch dann hörte ich einen Satz, der etwas in mir bewegte:


„Geduld bedeutet nicht, zu warten, bis es vorbei ist. Sie bedeutet, zu lernen, wie man damit lebt.“


Das war der Wendepunkt. Ich begriff, dass ich nicht darauf warten musste, dass meine Depression verschwand, um wieder ein lebenswertes Leben zu haben. Ich konnte lernen, mit ihr zu arbeiten, anstatt gegen sie zu kämpfen.


Ein Beispiel aus meiner eigenen Entwicklung hat mir dies noch einmal bewusst gemacht – meine Abnehm-Reise.

Am Anfang meiner Klinikzeit wog ich 83,4 kg. Heute, Monate später, schwankt es zwischen 71 kg und 72 kg. Aber das war kein stetiger, linearer Prozess. Es gab Tage, an denen das Gewicht wieder anstieg, Momente, in denen ich dachte, dass ich rückwärts statt vorwärts ging. Früher hätte mich das frustriert, hätte mich unter Druck gesetzt, hätte mich dazu gebracht, mich selbst zu verurteilen. Gedanken wie "Ich bin einfach zu schwach!", "Kann ich überhaupt irgendwas richtig machen?" oder "Nicht mal das bekomme ich hin!" waren keine Seltenheit.

Doch heute weiß ich: mit Geduld komme ich viel weiter als mit Druck. Der Fortschritt passiert nicht in einem einzigen großen Schritt, sondern in vielen kleinen. Genau wie bei der Heilung.


Der Weg zur Geduld

Geduld ist keine einmalige Entscheidung – sie ist ein fortlaufender Prozess.

Früher glaubte ich, dass ich einfach beschließen könnte, geduldiger zu sein, und alles würde sich leichter anfühlen. Doch so funktioniert das nicht. Geduld ist nicht bloß eine Tugend, sondern eine bewusste Haltung, die mit Übung wächst.

Ein zentraler Punkt ist Akzeptanz. Nicht als passives Hinnehmen, sondern als aktives Zulassen. Früher sah ich meine Ungeduld als Antrieb – als etwas, das mich schneller zum Ziel bringen würde. Doch tatsächlich war sie oft ein Hindernis. Sie ließ mich das Hier und Jetzt ablehnen, statt es als notwendigen Teil des Prozesses zu verstehen.


Während meiner betrieblichen Wiedereingliederung, also das langsame Heranführen an die Umgebung, die Kollegen, die Arbeit, nutzten Arbeitskollegen und mein Chef das Bild von zwei Leitern, um genau dieses Prinzip zu erklären.

Beide Leitern sind gleich lang und führen zum gleichen Ziel. Die eine hat wenige Sprossen mit weiten Abständen – es braucht große, riskante Sprünge und viel Kraft, um nach oben zu kommen. Die andere hat mehr Sprossen mit geringeren Abständen, die einen sicheren und stabilen Aufstieg ermöglichen.

Genau das ist der Unterschied zwischen Ungeduld und Geduld. Wer versucht, mit großen Sprüngen nach vorne zu kommen, riskiert Unsicherheit, Rückfälle und das Gefühl, nicht weiterzukommen. Wer sich stattdessen auf die kleinen Schritte konzentriert – eine Stufe nach der anderen – bewegt sich zwar langsamer, aber beständiger und sicherer vorwärts.


Zwei Leitern, Ungeduld und Geduld.
Zwei Leitern, Ungeduld und Geduld.

Dieses Bild begleitet mich seitdem. Ich habe erkannt, dass es nicht darum geht, die oberste Stufe so schnell wie möglich zu erreichen – es geht darum, den nächsten sicheren Schritt zu machen. Und genau darin liegt die wahre Kraft der Geduld.

Heute weiß ich: der Schlüssel liegt in kleinen Schritten.


Seitdem versuche ich, Geduld aktiv zu leben – nicht als etwas, das mich bremst, sondern als etwas, das mich trägt. Dabei helfen mir konkrete Prinzipien, die mir immer wieder bewusst machen, worauf es wirklich ankommt:


  • bewusst die Perspektive wechseln – Rückschläge nicht als Scheitern sehen, sondern als Teil der Entwicklung.

  • den Fokus auf kleine Erfolge legen – nicht darauf warten, dass der große Durchbruch kommt, sondern die kleinen Fortschritte erkennen.

  • sich selbst nicht unter Druck setzen – Heilung, Wachstum, Veränderung brauchen Zeit – und das ist absolut in Ordnung.


Die Geduld mit sich selbst

Es ist leicht, anderen zu sagen: „Gib Dir Zeit, sei nicht so hart zu Dir.“ Doch wenn es um uns selbst geht, neigen wir dazu, viel strenger zu sein. Ich musste lernen, dass Geduld mit mir selbst genauso wichtig ist, wie Geduld mit dem Leben selbst.


Lange Zeit fühlte sich Ungeduld für mich wie eine Art innere Mahnung an: „Du müsstest doch schon weiter sein! Warum dauert das so lange?“ Ich sah meine eigene Langsamkeit als Schwäche, als Versagen. Doch tatsächlich war es genau umgekehrt – meine Fortschritte waren nicht langsam, sie waren genau richtig für mich und vor allem: in meinem eigenen Tempo.

Heute weiß ich: Geduld mit sich selbst bedeutet, sich nicht mit einem Ideal zu vergleichen, sondern an der eigenen Entwicklung auszurichten.


Das zu akzeptieren, hat mir erlaubt, mit mehr Ruhe nach vorne zu gehen – nicht mehr getrieben von dem Gefühl, schneller sein zu müssen, sondern getragen von Vertrauen in meinen eigenen Rhythmus.

Und genau darin liegt die wahre Freiheit: nicht mehr gegen sich selbst zu kämpfen, sondern mit sich selbst zu wachsen.


Geduld als Lebenshaltung

Was wäre, wenn Geduld nicht nur eine Eigenschaft ist, die man manchmal braucht, sondern eine Grundhaltung, die das Leben verändert?

Früher dachte ich, Geduld sei nur in schwierigen Phasen wichtig – wenn ich auf Heilung wartete, wenn etwas nicht sofort funktionierte, wenn ich gegen Rückschläge kämpfte, wenn ich auf ein Ereignis wartete, nach dem ich mich sehnte. Ich sah sie als Mittel zum Zweck, als eine Fähigkeit, die man sich eben aneignen musste, um durch herausfordernde Zeiten zu kommen.

Doch irgendwann begriff ich: Geduld ist mehr als nur ein Werkzeug für Krisen. Sie kann eine bewusste Entscheidung für das gesamte Leben sein.


Geduld bedeutet nicht, sich mit Stillstand abzufinden. Sie bedeutet, das eigene Tempo zu akzeptieren, sich nicht von äußeren Erwartungen treiben zu lassen und zu wissen, dass manche Dinge Zeit brauchen – und das nicht nur in Heilungsprozessen, sondern in allem.

Diese Erkenntnis spiegelt sich heute in vielen Bereichen meines Lebens wider. Früher hätte ich mich unter Druck gesetzt, sofort eine Lösung zu haben, sofort Fortschritte zu sehen, sofort vorwärtszukommen. Heute weiß ich: nicht alles muss sofort passieren. Manchmal ist das Beste, was man tun kann, einen Schritt zurückzutreten, durchzuatmen und darauf zu vertrauen, dass der Prozess wirkt – auch wenn man ihn nicht immer direkt spürt.


Geduld als Lebenshaltung bedeutet, sich selbst und dem Leben mit mehr Ruhe zu begegnen. Sie nimmt den Druck heraus, alles sofort erreichen zu müssen, und schafft Raum für echtes Wachstum.


Und manchmal beginnt Veränderung genau mit diesem ersten Schritt: sich bewusst mit einem Thema zu beschäftigen.


Ich freue mich und danke Dir, dass Du bis hierhin gelesen und Geduld bewiesen hast. Vielleicht war ein Moment dabei, der Dich berührt hat – und Dich noch ein Stück weiter begleitet.

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page