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1. Der erste Tag – Ankommen und erste Wahrnehmungen

  • Autorenbild: Andy
    Andy
  • 21. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

Als ich die Klinik betrat, es war ein Donnerstag, war ich erschöpft – nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. Mein Zustand hatte mich ohnehin schon müde gemacht, aber die Autofahrt hierher hatte mich zusätzlich ausgelaugt. Während der Fahrt schwirrten tausende Gedanken durch meinen Kopf. Was erwartet mich? Wird es hier schlimm sein? Werde ich mich überhaupt wohlfühlen?


Die Unsicherheit war erdrückend. Ich fühlte mich eingeschüchtert von der gesamten Situation, mein Selbstbewusstsein und mein Selbstvertrauen waren eh schon auf ein Minimum gesunken. Aber gleichzeitig spürte ich tief in mir eine leise, aber entschlossene Kraft – denn diese Entscheidung hatte ich selbst getroffen. Ich hatte mich für den Aufenthalt entschieden. Vielleicht war das nicht nur ein Schritt – sondern der erste wirkliche Akt der Selbstfürsorge, den ich mir erlaubt habe.


Dann kam der Moment, in dem ich die Klinik tatsächlich betrat. Direkt nach meiner Ankunft folgte die Begrüßung und ein Einführungsgespräch. Natürlich mussten einige Formalitäten erledigt werden, aber man erklärte mir auch grob den Ablauf meines Aufenthalts. Ich hatte keine genaue Vorstellung davon, wie die kommenden Wochen aussehen würden, aber zumindest gab es eine erste Orientierung – ein kleiner Anker inmitten meiner Unsicherheit.


Und dann geschah etwas Unerwartetes – eine Überraschung, die mich erleichterte. Man teilte mir mit, dass ich (bis aus Weiteres) ein Einzelzimmer bekommen würde. Das konnte sich natürlich, je nach Auslastung der Klinik, jederzeit ändern. Und dennoch konnte ich es kaum glauben. Bis zu diesem Moment war die Vorstellung, sechs Wochen lang mit einem anderen Patienten in einem Zimmer zu verbringen, eine meiner größten Ängste gewesen. Ich hatte mich in den letzten Monaten ohnehin von fast allen sozialen Kontakten zurückgezogen. Die Vorstellung, meine wenige verbleibende Privatsphäre zu verlieren, belastete mich umso mehr.


Doch jetzt fiel eine große Last von meinen Schultern. Zum ersten Mal fühlte ich so etwas wie Erleichterung. Diese kleine, unerwartete Information veränderte meine Sicht auf die Klinik ein wenig. Ich war noch lange nicht angekommen, aber ich wusste nun, dass ich diesen ersten Schritt nicht völlig überfordert gehen musste. Ich hatte Raum für mich – Raum, um anzukommen, durchzuatmen, meine Gedanken zu ordnen.


Willkommen gefühlt wäre übertrieben, aber das freundliche Auftreten der Empfangsmitarbeiterin machte es mir leichter, mich nicht vollkommen verloren zu fühlen. Ich war noch immer unsicher, mein Kopf voller Fragen, mein Selbstvertrauen nahezu nicht vorhanden. Doch gleichzeitig spürte ich eine vorsichtige Erleichterung – eine erste Ahnung davon, dass ich hier vielleicht doch am richtigen Ort war. Ein Gefühl von gut aufgehoben sein, auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig zulassen konnte.


Nachdem ich mein Zimmer betreten hatte, war ich überrascht. Die Klinik hatte irgendwie Hotelcharakter, es fühlte sich überhaupt nicht an wie eine Klinik, wie man sie sich normalerweise vorstellt. Keine sterilen weißen Wände, keine kalte Atmosphäre – stattdessen ein großer, geräumiger Raum, der mir direkt ein wenig Ruhe vermittelte.

Mein Zimmer war ausgestattet mit einem Bett, einem Schreibtisch, viel Stauraum, einem eigenen Bad mit Dusche und WC. Besonders überraschend war der durch einen Durchgang vom restlichen Zimmer abgetrennte Bereich. Dort standen zwei Sessel, ein Tisch und Kommoden. Das gesamte Zimmer fühlte sich nicht nur wie ein Schlafplatz an, sondern wie ein echter Rückzugsort.




In den ersten Tagen nutzte ich den separaten Bereich vor allem zum Lesen. Doch dieser Bereich hatte noch eine weitere, tiefere Bedeutung: hier fanden auch meine Gespräche mit meiner Psychologin statt.

Es war ein geschützter Raum, in dem ich mich öffnen konnte, ohne Ablenkung oder äußeren Druck. In diesem Bereich sprach ich über meine Gedanken, über meine Ängste, über meinen Weg durch die Therapie. Der Raum, der mir anfangs nur als Rückzugsort erschien, wurde mit der Zeit ein zentraler Bestandteil meiner Heilung.


Noch am selben Nachmittag folgten die ersten Aufnahmegespräche. Ich sprach mit meiner Co-Therapeutin, der Ärztin und der Oberärztin, auch mein Gesundheitszustand wurde untersucht und dokumentiert. Es war ein ungewohnter Moment – das erste Mal, dass ich mich wirklich mit dem medizinischen Team auseinandersetzte, das mich auf meinem Weg begleiten würde. Sie stellten Fragen, erklärten Abläufe, gaben mir ein erstes Gefühl für die Struktur der kommenden Wochen. Es war viel auf einmal, aber zumindest zeigte es mir, dass ich hier ernst genommen wurde.


Nach der ersten Orientierung in meinem Zimmer und den Aufnahmegesprächen begann der Abend – und mit ihm neue Herausforderungen. Der Gedanke an sechs Wochen in dieser Umgebung fühlte sich bedrohlich und lang an, länger als jeder Urlaub zuvor. Die Klinik hatte klare Regeln, darunter ein striktes Alkoholverbot, mit der Möglichkeit spontaner Kontrollen. Auch das machte mir Angst, hatte ich doch bisher Entspannung oft mit einem Feierabendbier oder ähnlichem verbunden. Es war ungewohnt, sich plötzlich in einem Umfeld wiederzufinden, das so viele bekannte Muster aufbrach.


Am Abend gab es einen Rundgang durch die Klinik, gemeinsam mit anderen neu angekommenen Patienten. Ich folgte der Gruppe, nahm die Eindrücke auf, aber innerlich kämpfte ich mit meiner Unsicherheit. Später, beim Abendessen im großen Speisesaal, wurde mir das volle Ausmaß der Veränderung bewusst.


So viele Menschen auf einmal – eine Reizüberflutung. Ich war es gewohnt, mich zurückzuziehen, Einsamkeit war zu einem Schutzmechanismus geworden. Jetzt musste ich mich unter andere Menschen mischen, in einer langen Reihe stehen, mich selbst am Buffet bedienen. Für mich war das eine nervliche Zerreißprobe.


Die folgende Nacht war schwierig. Nachdem ich mich ohnehin schon erschöpft fühlte, hätte ich mir zumindest ein wenig Ruhe gewünscht – doch an Schlaf war kaum zu denken. Ich wachte im Stundentakt auf, meine Gedanken ließen mich nicht los, und als ich gegen fünf Uhr morgens endgültig wach war, wusste ich, dass ich die Nacht überstanden hatte, aber nicht wirklich erholt war.


Es war nicht nur das Gedankenkarussell, das mich wach hielt. Die gefühlte Hitze im Zimmer machte es schwer, sich wohlzufühlen, und der Lärm der nahegelegenen Autobahn prasselte unaufhörlich auf mich ein. Ich fühlte mich regelrecht überwältigt von all dem, was mich in dieser ersten Nacht umgab. Kein vertrautes Zuhause, keine gewohnten Abläufe – nur eine fremde Umgebung, in der ich erst noch meinen Platz finden musste.


Es war der erste richtige Test. Die Klinik hatte mir zwar einen geschützten Raum gegeben, doch mein Körper und Geist waren noch nicht angekommen. Ich wusste nicht, ob es in den nächsten Tagen besser werden würde – aber ich hoffte es.

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